![]() |
||
![]() |
Meister Eckhart Home / Works by Meister Eckhart - Quotes / Inspired by Eckhart / Studies / The Papal Condemnation / Mail & Announcements / Links / Books |
ERICH SEEBERG Meister Eckhart
II. Philosophische Grundbegriffe
Page 11
So ist auch das Böse "Nichtsein"; eine Ursache dafür gibt es nicht, eben weil es sich um Nichtsein handelt. Auch die Sünde ist vere nihil, außerhalb des Seins. Gott ist so wenig ihr Urheber, wie er Urheber des Todes ist; denn Gott ist das "intelligible" Sein, und Sünde und Tod sind "Nichtsein". Es gibt keine Brücke vom Sein zum Nichts. Und auch der Tod "ist" nicht, sondern wie alles Übel defectus, nicht effectus. Mortem facere est facere nihil [62].
4. Die Schöpfung bestimmt der Meister als collatio esse post non esse [63]. Aber alles Geschaffene präexistiert im Geist Gottes, wie das Bild im Geist des Malers. Existenz aber bekommt diese ideelle Welt durch einen Akt der Schöpfung aus dem Nichts, in dem die Ideen durch die causa efficiens nach außen gebracht werden, und so ihre Existenz als formales Sein durch einen Akt des Kausierens finden [64]. Wieder ist hier die Unterscheidung von Sein und Existenz maßgebend; aber die Terminologie langt nicht zu, um die Distinktionen erschöpfend zu beschreiben.
Gott ist ganz Sein und wirkt in den Kreaturen. Sub ratione esse und nur im Sein wird die Kreatur ihrer Ursache, d. h. Gott, ähnlich. Alles Geschaffene, soviel Sein, Leben und Intellekt es immer in sich bergen mag, ist nach der ratio des Seins selbst kreatürlich; wie umgekehrt, wenn es etwas Lebendiges und Intelligibles gäbe, das keine Existenz hätte außer Leben und Erkennen, so wäre dies als solches ungeschöpflich. Auf der andern Seite sind alle Dinge dazu geschaffen, daß sie "sind". Sein ist die Ursache der Existenz und Sein ist der Zweck der Existenz [65]. Wo dies "höhere Sein" ist - denn um das handelt es sich hier -, da ist Ruhe. Omne agens intendit ad finem et quietem suae actionis, ut effectus eius sit et accipit esse. Das ist wohl im Sinn des Aristoteles gedacht, nach dem ja alles Leben ein anderes, sich ähnliches Leben erstrebt [66]; aber der Seinsbegriff hat trotzdem jene mystische Färbung und Sublimierung, von der wir schon gesprochen haben. Ohne Gott ist kein Sein. Würde Gott einen Augenblick sich abwenden, so wären die Kreaturen das, was sie ohne Gott sind, nämlich nichts [67]. In diesem Sinn ist der Zweck der Schöpfung das Sein oder das Eine, in dem das Einzelne und das Ganze aufeinander abgestimmt sind. Es ist ein merkwürdiger Seinsdurst und Seinshunger, der die Gedanken des Meisters bestimmt. Das Universum ohne Sein wäre kaum eine Mücke [68]. "Wir sind durch das Sein. Soweit wir sind und existieren, nähren wir uns vom Sein und sättigen wir uns am Sein. Und so ißt alles, was ist, Gott als das Sein. Und so durstet alles, was ist, nach dem Sein selbst" [69]. Und das alles ist auf das Sein als solches zu deuten, wie es ja Meister Eckhart vom existierenden geformten Sein zu unterscheiden versucht. Und dies absolute Sein ist ein doppeltes: Es ist intelligere und vivere. Denn vivere viventibus est esse [70], wie vielleicht die bekannte aristotelische Formel von Eckhart in einem mehr voluntaristischen Sinn aufgefaßt worden ist. Man wird ja dies "Voluntaristische" in des Meisters Seinsbegriff überhaupt nicht übersehen dürfen.
Anmerkungen / Seeberg Contents Page / Next Chapter