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ERICH SEEBERG
Meister Eckhart
III. Gotteserkenntnis und Gnadenlehre
GOTT IST SEIN, und zwar Sein im Sinn von geistigem Leben. Esse und Essenz fallen bei ihm zusammen; alle Akzidentien sind in ihm Substanz [1]; seine quidditas ist, wie Avicenna sagt, sein anitas. "Gott ist in allin creaturen alse si wesin habin, und ist doch da inpobin" [2]; oder eine andere Formel: "deus totus in qualibet creatura."
Der religiöse Akzent liegt dabei auf der Jenseitigkeit Gottes, die nur in negativen Bestimmungen umschrieben werden kann. Auch gut ist deshalb Gott nicht zu nennen [3]. Gott ist Gott, weil er nichts Geschaffenes an sich hat; wer so wie er "on creature" ist, der ist ohne Weh und Hölle 4). "Got inhait keinen namen", wie der Areopagite sagte [5]. Er ist das "Eine", außer der Zahl. Jede Distinktion - auch im Hinblick auf die Trinität - ist ihm wesensfremd [6].
Das alles ist im Stil neuplatonisch. Aber das greift doch auch überall irgendwie ahnend und tastend über den Neuplatonismus hinaus.
Alle seine Gaben gibt der ewig reiche Gott, um sich selbst zu geben [7]. Er liebt, denkt und kennt nur das Sein, wie ja nach Aristoteles alles, was wirkt, sich selbst in sich selbst und in einer sich selbst ähnlichen Wirkung liebt. So wird alles, was ist, von Gott geliebt; alles, was nicht ist, von ihm gehaßt; wobei der Meister freilich dicitur hinzufügt; ein Zeichen dafür, wie stark er die Realität Gottes jenseits aller Leidenschaften empfindet [8]. So kann man sagen: Deus seipsum solum amat in omnibus [9]. Auch wenn Gott haßt, so haßt er nicht die einzelne Person, sondern die Ungerechtigkeit, die Idee, die hinter dem Ungerechten steht [10]. Und auch darin wird man eine perspektivenreiche neuplatonische Sicht erkennen dürfen, wenn es heißt, daß Gott "verborgen" ist im Sein, im Willen, im Intellekt - denn der Intellekt ist der Tempel Gottes [11] - und nur in der Seelenburg ist er in seiner nackten Essenz [12].
Zwei Fragen sollen hier noch besprochen werden: 1. die Gotteserkenntnis und 2. die Gnadenlehre.
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