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ERICH SEEBERG
Meister Eckhart
I. Leteinische und deutsche Schriften
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Denifles Entdeckung zeitigte aber auch eine allgemeine oder grundsätzliche Frage: Ist Meister Eckhart als Scholastiker oder als Mystiker zu beurteilen.
Wir würden heute auf diese Frage folgendes erwidern:
1. Es ist kein Zweifel, daß in der Tiefe der Sache zwischen Mystik und Scholastik ein Zusammenhang besteht. Das zeigt sich schon daran, daß die meisten Scholastiker gleichzeitig Mystiker waren. Das zeigt sich weiter darin, daß im Mittelalter Scholastik und Mystik ziemlich gleichzeitig entstanden sind; in dem Moment nämlich, als der germanische Geist soweit gereift war, daß er "das Erbe" nicht nur wiedergeben, sondern sich in ihm aussprechen wollte. Geschieht das in der Sprache des Begriffs, so haben wir die Scholastik; geschieht das in der Sprache des Herzens, so haben wir die Mystik; wobei freilich auf die nie genügend gewertete feste begriffliche und theologische Terminologie dieser "Herzenssprache" der Mystik nur im Vorübergehen aber nachdrücklich hingewiesen werden soll. Scholastik und Mystik kommen also in der Substanz überein; sie wollen sich beide das Erbe, das sie überkommen haben, individuell aneignen und sich zum persönlichen Besitz machen. Der Unterschied beider liegt in der psychologischen Funktion, die dabei verwendet wird. Es ist in der Scholastik die Vernunft, in der Mystik der Wille, welche die individuelle Aneignung der Tradition durchführen. Schließlich möchte ich annehmen, daß zwischen gewissen letzten philosophischen Begriffen und dem Anliegen der Mystik, letzte Wirklichkeit zu beleben und auszusagen, eine innere Verbindung besteht, deren Aufhellung eine reizvolle Aufgabe darstellen würde. Aber Begriffe, wie Sein, Bild, intellectus, scheinen mir immer mit Mystik geladen zu sein, so daß ich versucht bin, von ihrer "Trächtigkeit" zu sprechen.
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