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ERICH SEEBERG
Meister Eckhart
I. Leteinische und deutsche Schriften
MAN KANN das Mittelalter als die Geschichte einer großen Rezeption verstehen. Die germanischen Volker eignen sich das Erbe der Antike, zu der auch das Christentum gehört, an. Diese Rezeption ist zunächst mehr äußerlich in Lernen und Schreiben geschehen; aber allmählich erwacht in diesem Lernen und Kämpfen die Seele der neuen Völker, die berufen waren, in den Mittelpunkt der Weltgeschichte zu treten. Die neue Seele beginnt nun den überkommenen Stoft in sich selbst zu gestalten und umzuformen. Aus der Rezeption wird eine Verarbeitung; aus der Verarbeitung eine Durchdringung; aus der Durchdringung eine Umformung. Und in all diesen Bindungen und Gestaltungen, in denen sich Blut und Geist auf ewig vermählen, bilden sich langsam, aber sicher die Gesichter der einzelnen Nationen heraus, welche die verschiedenartige Ausformung dieses Erbes repräsentieren.
In diesem großen Rezeptionsprozeß, den wir Mittelalter nennen, steht der Meister Eckhart mitten drin; und wir können die Stelle ziemlich genau bestimmen, an der seine Figur sich erhebt. Sie befindet sich am Ende jener Epoche, die man als die zweite Hellenisierung des Christentums bezeichnen kann.
Wenn man unter der ersten "Hellenisierung des Christentums" jene Periode versteht, in der das urchristliche "Dogma" mit Hilfe der griechischen Begriffe in christliche Theologie umgeformt wird, so verstehe ich unter der zweiten Hellenisierung unserer Religion jene Zeit, in der Thomas von Aquino den echten Aristoteles aus dem Schutt der Überlieferung wieder-herstellen ließ; eine Tat, die das abendländische Denken auf das tiefste beeinflußt hat. Zugleich aber fließt unterirdisch und oberirdisch in und neben der christlichen Religion der Strom des Neuplatonismus, der vielleicht kraft seiner Herkunft das Christentum zugleich angezogen und abgestoßen hat.
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