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ERICH SEEBERG
Meister Eckhart
III. Gotteserkenntnis und Gnadenlehre
Page 6
Im Einzelnen geht der Meister darüber nicht hinaus. Es gibt aber freilich in der Seele eine Kraft über allen Seelenkräften, die ein Wirken mit Gott hat, und die so mit dem Vater den einen eingeborenen Sohn erzeugt [37]. Als Wahrheit tritt Gott in den Intellekt, als Gute in das Wollen, als Gott und Sein in die Essenz der Seele [38]. Nicht die Seelenkraft, sondern das Wesen der Seele ist mit Gott verbunden. Die Seele wäre, wenn sie aus dieser einen Kraft allein bestünde, reiner Geist, Gott und ungeschaffen, aber eben dann auch nicht mehr menschliche Seele. Als Seele aber ist sie mit ihren eigentlichen Kraften an die Zeit gebunden, und deshalb ist sie Kreatur [39]. Es ist für Meister Eckhart selbstverständlich, daß die Seelenkrafte geschaffen sind; ungeschaffen ist lediglich der abstrakte intellectus agens als solcher, und auch er ist in der Seele nicht Gott oder Christus, sondern ad imaginem, ut esset < homo > intellectivus de veste intellectus puri [40]. Man muß immer wieder sich an die Unterscheidung von imago und ad imaginem, von similitudo und ad similitudinem erinnern [41].
Wir werden nicht in Gott "transformiert" [42]; auch der Heilige wird nicht Christus; denn wir sind Miterben, Glieder seines Leibes, auf sein Bild hin geschaffen, aber nicht als Gottes Bild [43]. Wir sind das Zweite, von Christus getrennt, und wir werden Sohne, indem wir als seine Glieder ihm "conformiert" werden. Wir sind Adoptivsöhne; und doch ist der Sohn, der in mir gezeugt ist, der Sohn ohne allen Unterschied der Natur; eins mit dem Vater, einer, in mir und in andern der gleiche [44].
Wieder denkt Meister Eckhart an das menschliche intelligere als Abbild des göttlichen. Item indistinctus a me et indivisus sive non separatus, quasi non sit in me. Ipse enim in omnibus et ubique est utpote deus [45]. Man könnte auf Grund dieser Stelle und ähnlicher Formulierungen daran denken, den intellectus agens mit dem Sohn zu identifizieren, und man bliebe damit im Bereich der neuplatonischen Vorstellungen. Ebenso kann man auf die Ausführungen hinweisen, in denen der Meister die Einheit der Gerechtigkeit oder des Intellekts behauptet [46]. Aber hier gerade setzt der Analogiebegriff ein; denn der Gerechte verhält sich zur Gerechtigkeit "analog" [47], und die Analogie ist die Brücke zwischen Idee und Wirklichkeit, Metaphysik und Psychologie. Es bleibt also bei der analogia entis; und nur nach der "locutio emphatica" kann man etwa von der Gott gewordenen Seele sprechen, insofern als Gott faktisch Prinzip des Handelns im Wiedergeborenen wird [48].
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