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ERICH SEEBERG Meister Eckhart
II. Philosophische Grundbegriffe
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Die Ontologie des Meisters ist also nicht so sehr mit den Begriffen Materie und Form, Substanz und Akzidens gebaut, als vielmehr mit den Begriffen Sein, Existenz und "höheres" Sein. Etwas "ist" nur, solang dies Sein, das für Meister Eckhart die eine und dieselbe Lebenskraft ist, in ihm gegenwärtig ist [7]. So unterscheidet der Meister drei Stufen im Sein: Sosein, das seine Art durch die Form empfangt; Sein, das als "Lebenskraft" Gottes in allem, was lebt, gefaßt werden kann; "Höheres Sein", mit dem der Fromme in Gott ist und so wirklich ist [8]. Es dürfte also so liegen, daß Meister Eckhart "Sein" als Lebenskraft im philosophischen Sinn vom "Höheren Sein" als einer faktisch religiösen Beziehung im theologischen und metaphysischen Sinn unterscheidet. Im "Höheren Sein" wird der Sohn geboren; durch das "Sein" ist alles Leben. Pantheismus ist das nicht. Schon weil das Ganze neuplatonisch gedacht ist. Außerdem ist weder das All noch ist alles Gott. Charakteristisch ist vielmehr für Eckhart die Bestimmung des Seins als Leben und Wirken, das sich doch von dem gewöhnlichen Sein und Wirken unterscheidet. So haben Gott und die Seele ein Wesen, ohne miteinander identisch zu sein; so ist die Gotteserkenntnis, die aus Gott und der Seele fließt, ein Leben mit Gott; so ist Gott - nach Augustin - der Seele näher als deren eigenes Bewußtsein [9].
Vielleicht liegt in diesen Gedanken die in philosophischer Hinsicht am höchsten zu wertende Entdeckung des Meisters, die ihn abermals mit bestimmten Gedanken Luthers verbindet. Ich meine jene Anschauung, daß alles Bewegte zugleich den Beweger selbst bewegt, daß Beweger und Bewegtes in einem Kraftfeld zusammengeschlossen sind, daß alles Leben ein in sich zusammenhängender brausender Strom ist, in dem die Wellen sich nach vorwärts und rückwärts zugleich bedingen. Und ich denke hier an die vielen Wendungen Luthers "Wie du glaubst, so hast du" oder "Ut credis, ita habes", in denen mir eine ähnliche Empfindung für die Art der Verbindung zwischen Gott und Mensch wie bei Eckhart zum Ausdruck zu kommen scheint.
Gegen den Pantheismus hat Meister Eckhart noch zwei Sicherungen eingebaut: die analogia entis und den Bildbegriff. Alles Sein ist analog dem göttlichen Sein, aber es ist nicht mit ihm identisch. Wenn im Sein des Frommen Gottes Sein ist, so versteht sich das analogice, nicht realiter [10]. Seinen Inhalt bekommt dieser ursprünglich neuplatonische Begriff der analogia entis durch den Bildbegriff. Alles Sein ist Abbild des göttlichen Urbilds [11]. So ist auch Christus imago dei, der Mensch aber ad imaginem dei; d. h. er ist bestimmt durch und auf das Bild Gottes.
Schließlich muß hier noch eins gesagt werden: die ganze Vorstellung vom Sondersein, Sein und "höheren" Sein sind offenbar nach den neuplatonischen Konzeptionen von der πρόοδος und von der επαναστροφή gedacht. Das neuplatonische Schema von Abstieg und Aufstieg ist für Eckhart maß gebend. Das Sondersein des Existierenden ist Abfall in die Vielheit und Zersplitterung. Im "Sein" bereitet sich die Umkehr vor; aber der Aufstieg geschieht im "höheren Sein", in dem der Sohn geboren wird und Gott zu sich selbst zurückkehrt. Die Kraft zu diesem Aufstieg liegt im Seelenfunken, der deshalb göttlich ist.
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