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ERICH SEEBERG
Meister Eckhart
III. Gotteserkenntnis und Gnadenlehre
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ad 2) Meister Eckhart kennt die gratia gratis data. Alles, was Gott an den Geschöpfen tut, ist Gnade und wird umsonst gegeben [20]. Das ist korrekt katholisch, ebenso wie die Lehre korrekt aristotelisch ist, daß alles, was natürlich wirkt, vorher die Form empfangen muß; deshalb muß auch im geistlichen Bereich die Seele das göttliche Sein empfangen, um geistlich zu handeln. Gut handeln kann erst der, der gerecht ist. Meister Eckhart weiß also, daß alles Werk aus dem Wesen fließt; wäre kein Wesen, gäbe es auch kein Wirken [21].
Aber auch die Gnade, die Gott der Essenz der Seele mitteilt, die gratia gratum faciens, zerstört nicht die Natur, sondern "vollbringt" sie. Gratia non destruit naturam sed perficit. "Beide ist, die nattur und genad, sein" [22].
Und damit ist notwendigerweise die Anschauung vom freien Willen [23] und von der keimhaften Gutartigkeit des Menschen verbunden [24]. Die Seele tendiert von Natur auf das Gute, das letztlich das Eine ist, das von der zerspaltenen Vielheit geschieden ist; von Natur sieht die Seele, daß die erste Ursache ist; von Natur [25] liebt sie diese erste Ursache.
Die Frage, auf die es nun ankommt, ist die Frage nach dem Sitz der Gnade. Der Ort, in dem sie sich befindet, ist die Essenz der Seele oder der Intellekt, der ja nach Augustin und Plato am göttlichen Intellekt teilhat. Freilich, auch hier schiebt sich der Bildgedanke ein [26]. Im Intellekt, als dem Bild Gottes, wirkt die Gnade, die der Seele das Wesen mitteilt, das sie befähigt, gut zu handeln. Die Seele kann in diesem Zusammenhang, in dem es sich um die konkrete Gnadenmitteilung handelt, nicht als göttlich angesehen werden; denn die Gnade teilt ihr, die ad imaginem dei ist, die göttliche Kraft zu. Und zwar zieht die Gnade in die Seele ein, wenn die Seele in sich selbst zurückkehrt, in der großen Stille, im ewigen Jetzt. Gerade die fortschreitende Abkehr von der Kreatur ist das Zeichen für die Gegenwart der Gnade in der Seele. So wird die Seele "geschmeidig", "gotvar" [27]. "Also muß die sele sterben, sol si inphenclich werden einis anderin wesines" [28]. Dann ist der Mensch imstande, Gottes Gebote leicht und gern zu tun; wer sie schwer und unlustig erfüllt, der hat noch keine Gnade. Und zwar denkt der Meister nicht an Beten und Fasten, die ihm auch "große Torheit" sein können, sondern an die neue Gesinnung und an das Aufstehen des innern Menschen.
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