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FRIEDRICH HEER
From Eckhart, Predigten und Schriften, ausgewaehlt und eingeleitet von Fr. Heer, Frankfurt/M-Hamburg 1956
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In den Ruinen des Großreichs und der Großkirche haben sich, nicht unähnlich den Bretterbuden, Baracken und kleinen ebenerdigen Bauten, die um 1945 in den verwüsteten Städten Köln, Mainz, um die zerstörten Kirchen und die erhaltenen Dome errichtet wurden, zahlreiche kleine Gruppen von Menschen angesiedelt, die sich, einzeln und getrennt, als "Brüder" und "Schwestern" um ein eigenständiges religiöses Leben bemühen, das durchpulst ist vom Atem der Freude, der Freiheit, des Friedens. Der inneren Freude in kalter, haßerfüllter Zeit, der inneren Freiheit inmitten der zahlreichen Unfreiheiten der außeren Welt, des inneren Friedens in einer Epoche des Kriegs und Bürgerkriegs. 150 Jahre vor Eckharts Predigten in Köln polemisiert im "heiligen Köln" bereits Bernhard von Clairvaux, der größte Prediger der Christenheit im 12. Jahrhundert, gegen ein "lichtscheues Gesindel", das sich in den Vorstädten und Kellern, in unterirdischen Konventikeln zu geheimen religiösen Zusammenkünften sammelt. Bernhard von Clairvaux ist machtlos gegen diese "Ketzer", die zum Teil wirklich Katharer (das deutsche Wort Ketzer ist von Katharer, die "Reinen", hergeleitet) waren. Seit mehr als 200 Jahren vor Eckhart schwillt der Strom dieser Menschen immer mehr an. Sichtbar, bemerkbar werden früh seine rechts - und linksradikalen Ränder und Nebenströme, jene Gruppen, die direkt hinausschreiten aus der Kirche, also Katharer und Waldenser, später Brüder des Heiligen Geistes, Brüder des Geistes der Freiheit, Lollarden, Beghinen und Begarden, Adamiten, Pikarden, Luciferianer, manche Geißler. Aus der breiten Mitte gewinnen die Bettelorden, die frühen Dominikaner und Franziskaner, ihre besten Brüder. Vergessen wir nicht ganz die revolutionäre Bedeutung dieses Brudertums: immer wieder werden sich Bettelordensmönche, "Brüder" des Franziskanerordens und der Dominikaner, wehren müssen, nicht nur gegen die sie eifersüchtig umlauernde Weltgeistlichkeit, die den Bettelorden den seelsorgerischen Erfolg neidet und ihnen den Zutritt zu den Universitäten und zu den Hirnen und Herzen der studierenden Jugend verwehren will, sondern auch gegen die großen mächtigen "Väter" der Kirche: die Bischöfe und Päpste.
Friedrich Heer on European Mysticism - Eckhart, Tauler and Suso