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FRIEDRICH HEER
From Eckhart, Predigten und Schriften, ausgewaehlt und eingeleitet von Fr. Heer, Frankfurt/M-Hamburg 1956
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Wir stehen hier vor einer Wurzel des deutschen Idealismus. Die ungeheure Härte dieses Intellektualismus, der an der Wiege vieler revolutionären Ideologien des neueren Europa steht (bis zu Robespierres Kult der "reinen Vernunft" und bis hinauf zu den großen "Säuberern" im 20. Jahrhundert), spricht Eckhart in einer deutschen Predigt offen aus: "Die Vernunft, das reine Denken zieht Gott die Haut, das Kleid der Güte ab und ergreift ihn bloß, nackt, entkleidet von Güte, von Wesen und von allen Namen." Die Gefährlichkeit dieser Säuberung Gottes (ihre Konsequenz ist die Säuberung des Menschen, der Menschheit von allen "Unreinen", "Unvernünftigen") wird Eckhart nicht bewußt, da gerade hier sein intellektueller Impetus mit seinem mystischen Impetus verschmilzt. Der Mystiker will alle Dinge, alle Kreaturen rückführen in den Schoß der Einen gestaltlosen Gottheit "Alle Kreaturen sind ein reines Nichts; ich sage nicht, daß sie ein Geringes oder eben ein kleines Etwas sind, sondern daß sie ein reines Nichts sind" -, und der totale und totalitäre Intellektualist ist tief befriedigt über diese Aufhebung aller Verschiedenheiten, jedes Wandels, aller "unberechenbaren" und "unverständlichen" Eigenheiten und Farbigkeiten der Dinge, Materien und Zeitsituationen in die eine, unwandelbare Gottheit, die reine Ruhe, reiner Geist, reiner Intellekt ist. Der Intellektualist und der Mystiker zwingen die Gottheit, ihm, dem entfesselten Intellekt und dem hemmungslos allesbegehrenden Liebesvermögen zu Willen zu sein. Den "Gerechten" (beachten wir die Bedeutung der "Tugendhaften" bei Robespierre) ist es so ernst um die Gerechtigkeit, daß Gott für sie nicht eine Saubohne wert wäre, wäre er nicht gerecht (Deutsche Werke I, Predigt 6, S. 103; den linksradikalen Söhnen des deutschen Idealismus ist dann folgerichtig Gott keine Bohne mehr wert, da er nicht "gerecht" sei auf Erden).Die gottbegehrende Seele wieder zwingt Gott in allem, was sie will, ihr zu Willen zu sein (Predigt 20 a, Deutsche Werke I, 328). Dieser uralte mystische Gedanke des Gottzwingens führt, im Bunde mit dem gott-begreifenden und gott-greifenden Intellekt Eckharts, zu einem spekulativen Erlebnis, das er, in Erkenntnis seiner Bedeutung, in einer deutschen Predigt (Deutsche Werke I, 237 f.) genau zeitlich fixiert (auf "gestern abend"): es ist das "Enthöhen Gottes". Eckhart schildert da, wie er "gestern abend" auf den Gedanken kam, "daß Gott enthöht werden sollte, nicht absolut, sondern vielmehr innen, und dies gefiel mir so gut, daß ich es in mein Buch schrieb". Josef Quint erläutert richtig diese hochwichtige Stelle: "Das Enthöhen Gottes ist nicht zu verstehen als ein absolutes Herunterziehen und Erniedrigen oder Herabsetzen, sondern als Überwindung der Distanz und Transzendenz Gottes durch seine 'verinnigung', durch seine Immanenz in der Seele, wodurch sie selbst erhöht wird und zur Einswerdung mit dem immanenten Gott gelangt." Offen sichtbar aber wird hier doch dies: das große Abenteuer des Geistes, des eckhartischen Intellekts, der sich anschickt, die ganze Welt rückzuführen und aufzuheben in die Tiefen der Gottheit hinein, basiert auf dieser emotionalen mystischen Überzeugung, Gott ganz hereinbergen zu können in den Schoß des Menschen, seines göttlichen Atomkernes.
Friedrich Heer on European Mysticism - Eckhart, Tauler and Suso