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FRIEDRICH HEER
From Eckhart, Predigten und Schriften, ausgewaehlt und eingeleitet von Fr. Heer, Frankfurt/M-Hamburg 1956
Page 28
Der junge Luther ist über die "Theologia Teutsch" - Valentin Weigel, Sebastian Franck, Paracelsus, Jakob Böhme, Gottfried Arnold sind über die Stillen im Lande seine Schüler. Die protestantische Erbfolge führt über den Pietismus direkt zu Fichte, Schleiermacher, Hegel, Schelling und zu deren Erben in der dritten "Deutschen Bewegung" des 20. Jahrhunderts. Die katholische Erbfolge führt sowohl zu Ignatius von Loyola (eine für viele ungewohnte Filiation), der mit seiner Auffassung der "indiferencia", der völligen Gelassenheit, über die reich in Spanien einströmende niederdeutsche Mystik ein Schüler Eckharts ist, wie zu Blosius, Franz von Sales, weiter zu Fénelon, der in der Wende des 17. zum 18. Jahrhundert in seinem "Kampf mit Rom" ebenso wie in seiner sämigen Einstrahlung in alle europäischen christlichen Bekenntnisse und Denominationen Eckharts "Fall" in manchen Bezügen wiederholt. Auf katholischer Seite wird das Erbe Eckharts mehr zur Revolution nach innen ausgeformt. Therese von Lisieux mit ihrer Hingabe an die Dreifaltigkeit ("Oh, Dreifaltigkeit, Du bist eine Gefangene meiner Liebe" und "Alles ist Gnade") ist der spirituellste, reinste katholische Pol eckhartischer Aspirationen. Mitten in der Welt bekundet der führende katholische existentialistische Denker, Gabriel Marcel, in seinen Tagebüchern Gedanken, die oft unmittelbar an Eckhart anklingen: so, wenn er den Glauben als "Haftvermögen am Sein" definiert; oder wenn er am 19.II.1920 schreibt: "Heute morgen erschaute ich in voller Klarheit, daß die Freude nicht Merkmal, sondern recht eigentlich Ausströmen des Seins ist. Freude - Fülle. Alles, was in der Freude getan wird, hat religiösen Wert; in der Freude - das heißt mit dem Ganzen seiner selbst. Wogegen jedes Mit-sich-selbst-zerfallen-Sein der Seele Gott entfremdet." "Ewigkeit als einzigartiger Akt der Aufmerksamkeit gegenüber dem All" - das ist unbewußt wohl eine Interpretation eckhartischer Gedanken mit den Mitteln des Bedenkens dieser Gedanken in einem halben Jahrtausend. - Auf protestantischer Seite wird Eckhart als Schirmherr der Revolution nach innen und außen berufen, er wird zum Kirchenvater des Kirchenkampfes von den Erben des deutschen Idealismus, des revolutionären Spätpietismus und freireligiöser Gruppen berufen. Alfred Rosenberg, Hermann Schwarz, W. Hauer, Bergmann, Schulze-Soelde können sich mit ihrer Inthronisation Eckharts als Evangelist eines deutschen, weltimmanenten Gottglaubens bereits auf den ersten bedeutenden Übersetzer und Propagator Eckharts um die Jahrhundertwende berufen, auf Hermann Büttner. Dieser begreift Eckhart als "Führer" der "Zurückbringung des Christentums in das Reinmenschliche", als den "größten und einflußreichsten Lehrer, den Deutschland je hervorgebracht" hat. Stark an Fichte anklingend, versteht Büttner Eckharts frohe Botschaft und Lehre dahingehend, daß wir ("wir Deutschen") berufen sind, "die Geschäfte der großen Gottheit allein zu treiben in dieser Gotteswelt"; hier wird ein Aktivismus und Dynamismus entbunden, der in den letzten Jahrzehnten wahrhaft durch "die Bewegung" die Welt in Bewegung gesetzt hat...
Friedrich Heer on European Mysticism - Eckhart, Tauler and Suso
