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FRIEDRICH HEER
From Eckhart, Predigten und Schriften, ausgewaehlt und eingeleitet von Fr. Heer, Frankfurt/M-Hamburg 1956
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IX. Eckharts Erbe und die Erben
Eckharts revolutionärer Vorstoß, der Kirche, Dogma, Christentum sprengt und gleichreitig zu erneuern und in einer letzten Tiefendimension zu bergen sucht, wurde von den Zeitgenossen, von Freunden und Gegnern in seiner Bedeutung erkannt. Alle in der Bulle Johanns XXII. vom 27. März 1329 verurteilten Sätze Eckharts sind an sich Gedanken, die in der europäischen Kirche und Christenheit schon lange zuvor gedacht worden waren; die Akten von 1326 (Kölner Prozeß) und Avignon 1329 erspüren aber sachlich richtig die hinter den einzelnen Sätzen stehende revolutionäre Tendenz. Ein so nüchterner Forscher wie Heinrich Ebeling hat das sehr klar herausgearbeitet. Nun beginnt, nach der Verurteilung, ein folgen - und lehrreicher Prozeß, der bis zur Gegenwart läuft: Eckhart wird zunächst von den Offiziellen totgeschwiegen; sein Name wird nicht mehr genannt. Als Gregor XI. und Karl IV. mit kaiserlichem Brief vom 17. Juni 1369 die Ketzerei ausrotten und alle Bücher, Schriften und Predigten in der Volkssprache dem Scheiterhaufen überantworten wollten, werden auch Eckharts Schriften vernichtet, beziehungsweise zerstreut. Da der große Tote aber sehr lebendig ist, schreiben nunmehr offen Kardinal Fournier, Johannes von Lecuno, selbst Eckharts geistlicher Schüler Ruysbroek und ein Wenck gegen ihn. Seine Anhänger und Freunde, seine Schüler und Weggenossen verbreiten jedoch seine Gedanken und tragen sie in den gesamteuropäischen geistigen und religiösen Untergrund hinein; verdrängt nach "unten", in die Anonymität, entwickeln sie hier ihre immanente Sprengkraft. Eine ganze Reihe anonymer Schriften wirkt in seinem Sinne weiter, übernimmt seine Verteidigung; und es finden sich auch tapfere persönliche Verteidiger, wie Tauler, Seuse und später der große Nikolaus von Cues. Knapp hundert Jahre nach seiner Verurteilung nennt der offizielle Chronist des Dominikanerordens die Verdammungsbulle, die nur an Eckharts Adresse gerichtet war, als eine Verurteilung der häretischen Begharden, ohne Eckhart zu nennen. - Einen relativ sicheren Hort findet Eckharts Frömmigkeit in den Frauenklöstern seines Ordens, hier freilich bald erweicht und verweiblicht, ihrer männlichen Härte entkleidet. Dann sind es, vom 15. Jahrhundert an, die Brüdergemeinden und Kleinkirchen von in der Welt lebenden "Gottesfreunden", und die mächtigen Bewegungen der Stillen im Lande, die in der Devotio moderna (die "Nachfolge Christi" des Thomas von Kempen oder Gerrit Groote), dann im Täufertum und im frühen Pietismus, und katholischerseits in der orthodoxen Mystik und im Quietismus Eckhartische Gedanken weitertragen.
Friedrich Heer on European Mysticism - Eckhart, Tauler and Suso