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FRIEDRICH HEER
From Eckhart, Predigten und Schriften, ausgewaehlt und eingeleitet von Fr. Heer, Frankfurt/M-Hamburg 1956
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Dann lebt sie 50 Jahre lang, nach der Stiftung des Doppelklosters Königsfelden (für Mönche und Nonnen), zurückgezogen in den österreichischen Vorlanden, rastlos tätig für Land und Leute. Schwerste Schicksalsschläge, wie der Tod ihres Mannes, die Ermordung des Vaters, die Niederlage Friedrichs des Schönen, im Kampf um die Kaiserkrone (sie kämpft für diesen bis zu seinem Tod), vermögen sie nicht zu brechen. Sie, die reichste Fürstin ihrer Zeit, lebt persönlich sehr einfach und bescheiden, durchaus im Sinne der "Armen Christi", der Armutsbewegung; und sie überschüttet viele Kirchen, Klöster, Städte, Einsiedler mit Stiftungen. Diese führende Politikerin des Hauses Habsburg treibt eine großartige Friedenspolitik. Fast alle Schiedssprüche in den Vorlanden zwischen 1314 und 1360 gehen auf sie zurück. Glanzstücke ihrer Friedenspolitik sind die Beendigung des Laupenkrieges 1340, das Bündnis des Hauses Österreich mit Bern 1341, 1350 das Bündnis mit Stτaßburg, Basel und Freiburg. (Man beachte: die Stadt als Freiheitsraum und Friedensraum, als Hort der Mystik, und die "erweckte" Frau als Friedensmittlerin.) Diese Frau verehrt die Heiligen der Mystik, die auch Eckhart besonders teuer sind (ihm sind sie, alle, Bilder der eigenen, gottgebarenden Seele): Maria, Johannes den Täufer und Johannes den Evangelisten Maria Magdalena. Eckharts Trostbüchlein für diese leiderfahrene Frau ist getränkt mit den Gedanken der Stoa die ihn auch sonst tief beeinflussen. Die Stoa entstammt der Resistance von Intellektuellen gegen die überhandnehmende Barbarei in den Reichen und Staaten der Spätantike. Ihr Grundthema ist: Wie kann der geistig wache Mensch anständig leben und sterben, innerlich frei, wenn ihm die Zeitverhältnisse nicht gestatten, Einfluß zu nehmen auf die große und kleine Politik? Wie kann ein solcher Mensch sich den Glauben an einen guten Sinn göttlicher Weltordnung retten, ja erst erringen, wenn er tagtäglich sehen muß, wie Narren und Verbrecher Weltpolitik machen? Die intellektuelle Weltweisheit der Stoa mit ihrem praktisch-nutzhaften Lehrgehalt verschmilzt bei Eckhart (und dann in der reichen Literatur der Trostbücher, der Consolatorien, die in den leidschweren Jahrhunderten des Spätmittelalters eine sehr große Bedeutung für die Selbstfindung des Europäers gewinnen) mit einer christlichen Leidensmystik der das Leiden zum Einstieg in das Innere Reich wird. Eckhart spricht hier offen die innerste politische und seelische Position dieser Leidensmystik aus: Das Leiden Christi ist "so frei, dαß es einem weder Papst noch Kleriker verbieten können"; durch die freie Übernahme des Leidens kann sich jedermann das Innere Reich, die Verbindung mit Gott in Seele und Herz erkämpfen. - Die hochfürstliche Frau empfing Eckharts Trostbüddein in der großeη Krise ihres Lebens und hatte, wie wir sahen, reiche Gelegenheit, in dem folgenden halben Jahrhundert in einem zugleich tätigen und gottinnigen Leben den empfangenen Samen in vielfältigen Früchten auszutragen. Diese Gelegenheit, weit in die Welt und in die Mitmenschen, in die "ebenkristen", um mit Eckhart zu sprechen, strahlkräftig hineinzuwirken, besaßen die in der Bannmeile der Städte und der Enge ihrer Zellen und Hausstätten eingeschlossenen Ηörerinnen und Hörer Eckharts nicht. Hier entstand, in den Versuchten, Verfolgten, Beleidigten, nicht selten eine verzweifelte Stimmung, die diese und jene Seele zum Äußersten trieb, zumindest in immer steilere, radikalere Gedanken.
Friedrich Heer on European Mysticism - Eckhart, Tauler and Suso