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FRIEDRICH HEER

Meister Eckhart

From Eckhart, Predigten und Schriften, ausgewaehlt und eingeleitet von Fr. Heer, Frankfurt/M-Hamburg 1956


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Time and Creation in Gregory of Nyssa and Meister Eckhart
Time and Creation
In Gregory of Nyssa and
Meister Eckhart

Page 25

VIII. "lch bin der Sohn" - "Wir sind der Sohn"

 

"Fragt mich jemand, was Gott im Himmel tut, so würde ich antworten: Er gebiert seinen Sohn, er gebiert ihn dauernd neu und hat so große Lust zu diesem Werke, daß er nichts anderes tut als dieses Werk wirken mit dem Heiligen Geist und alle Dinge in ihm" (Reden der Unterscheidung). Der wahre Mensch ist der, der an der "Wahrheit" teilnimmt, am innergöttlichen trinitarischen Prozeß der Gottheit, der selber Gott empfängt und Gott gebiert und dabei in Gott verharrt. Eckhart beantwortet die Frage des Pilatus an Christus: Was ist Wahrheit? (wir erinnern uns: Christus antwortet: "Ich bin die Wahrheit"): Wahrheit ist das Sein, ist die Bewegung der in sich selber strömenden Gottheit und jeder Mensch soll Sohn werden, soll in ihr ausgeboren werden. In einer seiner großen Predigten (Nr. 9, Deutsche Werke I, 138 ff., Pfeiffer Nr. LXXXIV) bekennt Eckhart, daß alle seine Predigten das Grundmotiv durchziehe, wonach die Seele ihren "Ausfluß" dort nimmt, wo auch der Sohn ausfließt, wonach der Vater, indem er den Sohn, das "Wort" spricht, gleichzeitig auch die Seele als ein bîwort ausspricht, und daß darauf der ganze Adel der Menschenseele beruht, auf Grund dessen sie eins mit dem Sohne und damit auch mit der Gottheit zu werden vermag" (Quint). Eckharts Christus ist da nicht mehr der historische Christus, auch nicht der mystische Christus des Paulus, sondern das Wort, "das immer geboren ist und immer geboren wird" (qui semper natus est et semper nascitur), das sichtbare Symbol einer Gottesgeburt, die sich in jeder guten Seele vollzieht, in jedem Augenblick, in dem sich die Seele Ihm im tiefsten "Grund" vereinigt (vgl. Faggin 155 f.). Für die "Unterdrückten und Beleidigten", also für die zahlreichen Menschen, die an der Redlichkeit der beamteten und kirchlich‑sakramentalen Mittler der Zeit verzweifelten, für die Mönche und Nonnen, die im Inneren Reich, in ihrer Zelle und in der Zelle ihrer Seele Gott unmittelbar zu begegnen suchen, für die revolutionäre Intelligenz in seinem Orden und weit darüber hinaus, die nach der Schau der Einen, reinen Geist‑Gottheit strebt, für sie alle und für das ganze Volk der "einfachen Menschen" baut Eckhart seine Lehre vom Sohn-Sein und Sohn-Werden aus. Es gibt nur zwei Wahrheiten und Wirklichkeiten: Gott und die Seele, und diese beiden sind im tiefsten Grunde eins. Die ganze Bibel reduziert sich in diesem Sinne für Eckhart in einer gigantischen Verkürzung auf zwei Phänomene: auf das Werk Christi als Geburt des "Sohnes", und auf die Verkündigung an Maria als Symbol vollkommener Hingabe des "gelassenen" Menschen an Gott. (Vollkommenste Darstellung dieser seiner Bibelauffassung ist sein Kommentar zu Johannes, der denn auch den schärfsten Widerstand von seiten seiner Zensoren erregt hat.)

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