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FRIEDRICH HEER
From Eckhart, Predigten und Schriften, ausgewaehlt und eingeleitet von Fr. Heer, Frankfurt/M-Hamburg 1956
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Ist die Liebe überwunden, dann steht nichts mehr der Rückführung des Menschen in den Zustand vor der Schöpfung im Wege. Es ist die Grundabsicht der Eckhartischen Denkmystik, "den Menschen hinter die Schöpfung zurückzuverwandeln". In der Abgeschiedenheit - sie ist die höchste Tugend - wird der Mensch wieder so "wie da er nicht war". Eckhart läßt "das Geschöpf sozusagen wieder in den Schöpfer hineinschlüpfen und zum vorkreatürlichen Gedanken Gottes werden". Der Mensch und alle Dinge fließen aus Gott, und sollen zurückfließen in den vorkreatürlichen Zustand: in das "Nichts" der reinen Gottheit. Auf diesem Wege in das "Nichts" muß die Seele sogar das Höchste und Letzte der abendländischen Christenheit überwinden, die Trinität, den dreifaltigen Gott. Auf diesen berufen sich alle Staatsurkunden Europas vom 9. bis 19. Jahrhundert (erst der antitrinitarische Sektierer Wilson setzt 1918 durch, daß sie in den Vertragswerken am Abschluß des ersten Weltkrieges nicht mehr genannt wird). Am Umdenken und Um-Denken der Trinität, einmal in eine immanente Ein-Gottheit, zum anderen in den neuen Ternar "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit", zum dritten in den innerweltlichen Produktionsprozeß, entfaltet sich das europäische Denken bis zur Gegenwart, in der Jung und andere die Trinität zu einer Quaternität weiterentwickeln wollen. Für Eckhart hat, wie wir unten sehen, die Trinität eine sehr große Bedeutung für seine Geist-Spekulation. Um so wichtiger seine Maxime: auch die Trinität muß überwunden werden. Eckhart fordert den Durchgang durch sie und über sie hinaus in die "Wüste der Gottheit". Wir sollen, wie den "Sparren" aus unserem Auge, alles "Gemächt" aus uns "hinauswerfen", das uns an der Einung mit der Gottheit hindert. "Und weil nun auch die Seele ein Gemächt ist, so muß sie sich aus sich selber werfen. Und auch aus sich herauswerfen alle Heiligen, samt Unserer lieben Frau, als die alle nur Gemächte sind." Eckharts religiöser "Nihilismus" ist hier vielleicht infiziert von den damals bereits vor allem im niederdeutschen Raum starken bilderstürmerischen Bewegungen, sicher vom Purismus, vom Säuberungswillen des religiösen Nonkonformismus des Mittelalters, der ja nicht nur in Waldensern und Katharern, sondern auch in den zahlreichen Zirkeln der "Stillen im Lande", der Beghinen, Begharden und anderer Vorläufer der Devotio moderna sich bekundet. Dieser religiöse, mystische "Nihilismus" enthält eine erste umfassende Ideologie-Kritik, indem er den "Gott" vieler Frommer, Halbfrommer und Unfrommer als einen Ab-Gott, einen Götzen zu erweisen sucht, als eine religiöse Ideologie zur Tarnung und Abschirmung aller möglichen ständischen, individuellen, auch seelischen und geistigen "Interessen". Nirgends wird vielleicht der Gegensatz Eckharts zu Augustin (von Volpe, Faggin, Amstutz und anderen mit Recht stark herausgearbeitet) kontrastschärfer sichtbar als hier. Eckhart beruft sich oft auf Augustin als seinen Kronzeugen, er deutet diesen aber ganz unbefangen um, wie er es für seine Zwecke braueht, und hat hier einen gemäßigten Vorläufer in Thomas von Aquin (worauf Hertling bereits 1915 verwies). Augustin und Eckhart betonen emphatisch die creatio ex nihilo, die Schöpfung aus dem Nichts. Für Augustin aber ist das Nichts einfach Nichts. Für Eckhart ist das Nichts die Fülle der Gottheit. Dieses Nichts ist die Urform der Spekulation um das "Nichts" und das "Nichten" bei Hegel, Heidegger, Sartre, es ist immer gegen einen verengten, erstarrten und sehr positionsbezogenen auch "politischen" Gottesbegriff der Kirchen und Konfessionen gewandt; und es sucht die alten Mittler als heillos zu erweisen: die Väter, Priester, Könige der alten Welt, nicht zuletzt auch Christus. Eckhart, der Weise, der Meister des reinen Denkens, braucht den historischen Christus und die Heilsgeschichte nicht, beide werden kaum erwähnt in seinem Werk; er braucht ihn nur, wie auch sonst ein Philosoph einen Begriff für sein System "braucht", weil er den in der Abstraktion verschwindenden Gott wenigstens im Abbild haben will und seinen Hörern doch etwas "vorstellen" will und muß.
Friedrich Heer on European Mysticism - Eckhart, Tauler and Suso